November 15, 2021

Eine Partei muß sich ändern

Was in der CDU anders werden müßte

Die CDU hat die Wahl verloren, weil sie den falschen Kanzlerkandidaten aufgestellt und einen Personenkult über ihre Inhalte gestellt hat. Es war schon nach dem Verzicht der Vorsitzenden Merkel auf den Parteivorsitz im September 2018 erkennbar, daß Frau Merkel zunächst auf AKK als Nachfolgerin setzte, die sie zuvor zur Generalsekretärin gemacht hatte – mit mäßigem Erfolg. In einem Kraftakt und mit sehr knapper Mehrheit wurde AKK gegen Friedrich Merz gewählt, nachdem dieser unmittelbar nach dem Verzicht Merkels sofort seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärte und augenscheinlich einen Plan hatte. Schon damals wurde deutlich, daß Merkel mit diesem Plan nicht einverstanden war und die Partei gegen Merz, dem sie ohnehin rhetorisch und inhaltlich nie gleichwertig war, mobilisierte. Es war ein brutaler Machtkampf. Insbesondere die Frauenunion, die CDA, die Seniorenunion und einige Landesverbände und zunächst auch Teile der JU wurden gegen Merz mobilisiert. Schon die Delegiertenwahlen für die Bundesparteitagsdelegierten waren offenbar gezielt nach Lagern durchgeführt worden. In der Presse wurden erhebliche pressemäßigen Stützaktionen – etwa durch Interviews wie von MP Günther – für AKK sichtbar.

AKK hat sodann nach etwas mehr als einem Jahr aufgegeben. Die Kälte, die Merkel gegenüber „ihrer“ Vorsitzenden im Zuge der Wahl eines Ministerpräsidenten in Thüringen, der mit AfD-Hilfe gewählt worden war, zur Durchsetzung ihrer im Ausland erhobenen Forderung nach Rückgängigmachung dieser Wahl mithilfe der CDU-Vorsitzenden, an den Tag legte, war beispiellos.

 

Eine neue Wahl des Vorsitzenden wurde erforderlich, weil Merkel AKK seit ihren innerparteilichen Integrationsbemühungen um konservative und liberale Teile der Partei demontierte. Merz hatte erneut unverzüglich seine Kandidatur erklärt. Dies schien auch naheliegend sein, weil überzeugende weitere Kandidaten nicht sichtbar waren. Im Laufe der Zeit gaben nunmehr Röttgen und – mit Zögern – Laschet ihre Kandidatur bekannt. Laschet hatte in den Jahren zuvor immer – auch in den Auseinandersetzungen um die Asylpolitik – fest auf Seiten der Kanzlerin, deren Kurs auf dem konservativen Flügel heftig umstritten war und tatsächlich eine der Ursachen für das Wiedererstarken der AfD, gestanden und war – ohne nennenswertes eigenes Profil – ihre Stütze auch in innerparteilichen Auseinandersetzungen.

Daß Laschet 2017 Ministerpräsident geworden war, beruhte weniger auf seinem eigenen persönlichen Profil als vielmehr auf der Schwäche seiner Vorgängerin, der Ministerpräsidentin Kraft. Er selbst hatte als Integrationsminister unter Rüttgers – wie die Kanzlerin – eine sogenannte „liberale“ Variante der Politik des linken Parteiflügels unterstützt und tat sich durch Geschmeidigkeit gegenüber sozialdemokratischen oder auch grünen Positionen hervor.

Ein gleicher Grabenkampf zwischen Merz, dem liberalen Wirtschaftsflügel sowie dem – insbesondere ordnungspolitisch – konservativen Flügel einerseits und dem sog. sozialen und weiblichen Flügel andererseits wurde erneut – nicht offen, aber verdeckt, – mit äußerster Brutalität erneut geführt – mit dem Ergebnis, daß wiederum sowohl der Wirtschaftsflügel wie auch der konservative Teil der Partei das Nachsehen hatten. „Vorsichtshalber“ wurden die Delegierten angeblich „coronabedingt“ nicht verändert und nicht neu gewählt.

Stammwähler der Union erkannten ihre Partei nicht wieder. Offenkundig war dieses Ergebnis auch das Produkt des Willens der Bundeskanzlerin ihrer Unterstützer, die geradezu bezüglich der Bundeskanzlerin einen Personenkult kreiert hatten. Die Partei hatte sich gravierend im Namen einer sogenannten „Modernisierung“ verändert.

Dies hat mit Sicherheit wesentlich zu einer niedrigen Wahlbeteiligung auf der bürgerlichen Seite des Wählerspektrums beigetragen.

Das Hauptproblem für den Niedergang der Union in den Jahren unter Merkel, die Orientierungslosigkeit und Sehnsucht des konservativen und wirtschaftsliberalen Flügels, die Merz parteiintern seit seinem Abschied aus dem Fraktionsvorsitz im Jahre 2002 verkörperte, wurde von Merkel und den zunächst AKK und sodann Laschet unterstützenden Kräften rigoros ausgeblendet und unberücksichtigt gelassen. Friedrich Merz hat dies „Denkfaulheit“ genannt.

Die persönliche Werdegang zahlreicher Mandatsträger in der „Merkel“-Zeit war und wurde zunehmend geprägt von jungen „politisch hauptberuflich tätigen“ Karrieristen, denen programmatische Linien der Union, wie sie der konservative und wirtschaftsliberale Flügel verkörperten, ziemlich egal waren, die auf diese Weise zum Konturenverlust der Union aber in erheblicher Weise beigetragen haben.

 

Zu Beginn der Zeit des Vorsitzes Merkels lag die Union bei durchschnittlich rund 40 % der Wählerstimmen – immer auch – sogar unter Helmut Kohl – getragen von einem erheblichen Stimmanteil ihrer konservativen und wirtschaftsliberalen Wähler. Nach dem Ende der Vorsitzendenzeit Merkels 19 Jahre später ist die Union auf rund 20% gefallen. Auch wenn der Niedergang der SPD in der gleichen Zeit nach den Schröderschen Reformen 2003 vergleichbares Ausmaß erreicht hatte, bedeutet dies nicht, daß die Ursachen für den jeweiligen Niedergang der beiden größeren Volksparteien ähnlich wären.

Schon hier wurde deutlich, daß der Wille der Kanzlerin, das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode fortzuführen, für jeden Nachfolger im Parteivorsitz ein erhebliches Problem bleiben würde. Das Wahlergebnis hat auf dieses Problem eine an Deutlichkeit nicht zu überbietende Antwort geben. Aber scheinbar niemand traute sich, das offen auszusprechen.

Mit dieser fehlenden Offenheit der „Nomenklatura“ im Parteivorstand, mit der Durchsetzung Laschets wider jede Vernunft gegen die Parteibasis und alle Meinungsumfragen erst zum Vorsitzenden und sodann zum Kanzlerkandidaten hat die Mehrheit von Vorstand und Präsidium für die Partei den größtmöglichen Unfall herbeigeführt. Das war bereits im Januar 2021 erkennbar.

Trotzdem steuerte Laschet – mit Unterstützung seiner Adlaten, zu denen auch MP Günther zählte, – weiter zielstrebig auf eine Kanzlerkandidatur zu, der er zu keinem Zeitpunkt je gewachsen war. Schon die eigenen Affären der Vergangenheit, die Laschet auf wundersame Weise in der Landespolitik wenig geschadet haben, offenbarten charakterliche Mängel, die ihm während der Kandidatur wie ein Mühlstein am Hals hingen.

Es mag nachvollziehbar sein, daß die „Nomenklatura“ der CDU, insbesondere Schäuble, einen CSU-Kanzlerkandidaten für nicht vertretbar hielten. Aber es gab auch in der CDU Personen, die besser als Laschet geeignet waren, Kanzlerkandidat zu sein. An erster Stelle ist hier Merz zu nennen.

Schon das hätte Anlaß für Präsidium und Vorstand sein müssen, Laschet in seinen Bestrebungen seit Januar 2021 zu bremsen bzw. zu verhindern. Doch Schäuble und Bouffier, auch Ministerpräsidenten wie Günther und Hans, aber auch mächtige Landesvorsitzende wie Althusmann, Minister wie Altmeyer und Spahn unterstützten wider besseres Wissen die beiden erstgenannten. Nur die ostdeutschen Landesverbände hielten sich in ihrer Euphorie über Laschet erkennbar zurück. Sie spürten deutlich, daß der Kandidat in Ostdeutschland nicht vermittelbar war.

Rhetorisch war der Kandidat immer – gemessen an den Erwartungen der Parteimitglieder – gänzlich uninteressant. Die Tatsache, daß der Vorsitzende auch nach der dieser desaströsen Niederlager fast zwei Wochen lang bereit war, diese Niederlage einzuräumen, sondern stattdessen versuchte, sich seine Position zu sichern, ist ein weiterer Beleg für einen entscheidenden charakterlichen Mangel.

Merkel hat das Koordinatensystem der CDU, aber auch des Parteiensystems, nach links verschoben. Das haben Teile der Partei zunächst überhaupt nicht gemerkt. Diese Teile haben es immer noch nicht gemerkt, weil sie sich einem nicht nachvollziehbaren Personenkult um die langjährige Vorsitzende hingaben. Es waren auch eigene Entscheidungen der langjährigen Parteivorsitzenden und Kanzlerin, zahlreiche Weichenstellungen in der Politik der Partei vorzunehmen, die den konservativen und den wirtschaftsliberalen Flügel nahezu heimatlos gemacht haben und die ordnungspolitische Orientierungslosigkeit der Union ausgelöst haben:

  • Die praktische Aufgabe der Wehrpflicht.
  • die Auszehrung der Bundeswehr durch systematische Unterfinanzierung – unter Beifall der SPD – in den Zeiten, in denen die Verteidigungsminister(in) aus den Reihen der Union kamen.
  • die plötzliche Wende in der Energiepolitik und Aufgabe der Kernenergie als Energieträger, obwohl kurz zuvor noch längere Laufzeiten bewilligt worden waren. Eine konsequente, offensive konzeptionelle Bearbeitung für mehr Klimaschutz und Einbeziehung der Naturschutzpolitik in ein solches Konzept hat vollkommen gefehlt.
  • Zum Klimaschutz wurden nur rudimentäre Vorstellungen geäußert, ohne die Kolossalität dieses Themas zu benennen und konstruktiv eigene Lösungsvorschläge vorzulegen. Auch die ordnungspolitische Dimension dieses Themas ist nie erkannt worden. Dies wäre ein großes Feld für Auseinandersetzungen mit den Grünen im Kampf um Jungwähler gewesen.
  • die Asylpolitik mit der unkontrollierten Aufnahme und Übernahme von Massen Asylbewerbern ohne Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung. Dies hat wesentlich zur Entstehung bzw. Verfestigung der politischen Position der AfD beigetragen.
  • die Gesellschaftspolitik der Union hat jeden ethischen Bezug zwischen einer Partei der Christlichen Demokraten und den angeblich modernen Entwicklungen vermissen lassen. Zu den Fehlentwicklungen in beiden christlichen Kirchen hat die Union vollständig geschwiegen.
  • Das gesamte politische Personal der Union hat zu geringe Sachkompetenz und ist insbesondere der geistigen Spritzigkeit der FDP und der Grünen und der Unbedingtheit ihres jeweiligen demokratischen Engagements nicht gewachsen. Der Idealismus für eine bestimmte Sache wäre wichtiger als das persönliche Fortkommen in Ämtern. Weite Teile auch der jüngeren Parteimitglieder haben den Kontakt zur Gesellschaft tatsächlich verloren. Zahlreiche „Jungpolitiker“ schlagen frühzeitig berufliche Qualifikation aus, um ebenso frühzeitig Berufspolitiker zu werden. In bestimmten Schichten der Partei, findet sich eine große Sammlung von derartigen „Jungpolitikern“, die zwar Spezialisten bei der Bekämpfung innerparteilicher Gegner sind, von der Bewältigung aktueller sachpolitischer Aufgaben allenfalls als Generalisten einmal theoretisch etwas gehört haben. Das schadet dem Ansehen der Union insgesamt sehr.
  • die Zustimmung der Union zur Grundrente war ein kapitaler Fehler, den zukünftige Generationen bezahlen müssen – selbst wenn dies weder die demographische Lage der Gesellschaft noch die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit derselben hergeben. Die Union muß ein Rentenmodell entwickeln – und auch dazu in der Öffentlichkeit in Kontroversen stehen –, das diese Probleme auch mittelfristig löst.
  • die Problematik der Höhe des Staatszuschusses für die Rentenversicherung und die dadurch ausgelöste Diskussion um die Höhe der Altersrente bzw. das Renteneintrittsalter ist programmatisch offenkundig zu kurz gekommen.
  • Die völlige Kritiklosigkeit bzw. Leisetreterei der Kanzlerin gegenüber der Machtpolitik und den Menschenrechtsverletzungen gegenüber China.
  • Die einzige Domäne, die die Union im Wahlkampf hätte vorzeigen können, wenn sie es denn bewußt getan hätte, wäre die Ordnungspolitik und Rolle des Staates im Verhältnis zur Gesellschaft gewesen. In diesem Punkt ist die CDU der FDP sehr nahe. Steuerpolitisch hat sich die Union ängstlich zurückgehalten, um nicht Neidkomplexe zu wecken. Notwendig wäre der Entwurf einer Gesellschaft gewesen, die Freiheit großschreibt und die Menschen nicht von und für den Staat leben läßt, sondern den überbordenden Steuer- und Regulierungsstaat reduziert.
  • Die Feminisierung der Partei hat ein zentrales Strukturproblem der Union aufgedeckt: Die politische Leistungsfähigkeit der wenigen weiblichen Mandatsträger hat gezeigt, daß diese häufig nicht in der Lage sind, Führungspositionen auszuüben und sich bewußt auf Rollen beschränken, deren politische Bedeutung gering ist. Es ist ein zentraler Irrtum von Parteipolitikern, daß die zahlenmäßige Repräsentanz bestimmter Bevölkerungsgruppen, die sich als Minderheiten präsentieren, bei den übrigen Wählern Vorteile brächte.
  • Das langsame Aufweichen der Schuldenbremse z.B. bei europapolitischen Entscheidungen im Zuge der Pandemiebekämpfung
  • Die widerstandslose Hinnahme der Niedrigzinspolitik der EZB mit Enteignungswirkung für Bürger und ihre Ersparnisse bei gleichzeitiger vertragswidriger Staatsfinanzierung durch die EZB für hochverschuldete Staaten
  • der Wähler hat zu keinem Zeitpunkt gewußt, worin die Schwerpunkte der Zukunft im Unterschied zu den Grünen und den Sozialdemokraten lagen. Das Wahlprogramm kam zu spät und war inhaltlich zu dünn.
  • Zur Forstpolitik hat die Landwirtschaftsministerin und stellvertretende Parteivorsitzende wenige Tage vor der Wahl noch ein Sofortprogramm vorgelegt, das aber offensichtlich die umweltpolitische Dimension allenfalls streifte.
  • Die Wehrlosigkeit der Union in der Koalition, mit der sie hinnahm, die Krankenversicherungen mit immer mehr versicherungsfremden Leistungen zu belasten, und für die Senkung der Sozialabgaben statt ihrer geradezu regelmäßigen Erhöhung, insbesondere für Selbständige – nichts getan zu haben.

Für die Neuaufstellung der Partei (bei der, so der JU-Vorsitzende Kuban, „kein Stein auf dem anderen bleiben darf“) bedarf es nicht nur, aber auch einer kompletten Neuaufstellung der jeweiligen Führungsstrukturen in allen Landesverbänden und im Bundesverband. Das ist weder eine Frage des Proporzes, weder des Geschlechter-, Regional- oder des Altersproporzes. Die CDU muß wieder ihre Aufgabe erfüllen, als christlich und demokratisch fundierte Kraft sich zu ihren Wurzeln, die sie einst stark gemacht haben, zu bekennen und daraus auch sowohl grundsätzlich wie auch für die Tagespolitik herleitbare Folgerungen ziehen.

Sie muß und darf sich unterscheiden von anderen Parteien, die derartige Wurzeln weder kennen noch achten wollen.

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