September 17, 2025

Sein und Schein – Politikersprüche

Heute die Aussage Lars Klingbeil zum Etat des Bundesfinanzministeriums im Bundeshaushalt 2025:

„Mit diesem Haushalt schaffen wir Wachstum und Gerechtigkeit – weil wir in Infrastruktur investieren, die Digitalisierung, Beschleunigungen und Innovationen auf den Weg bringen“, so Bundesfinanzminister Lars Klingbeil in seiner Rede im Deutschen Bundestag.

Der Unterschied zwischen Sein und Schein in der Politik beschreibt eine zentrale Problematik: die Differenz zwischen der tatsächlichen Realität (Sein) und dem äußeren Anschein oder der öffentlichen Darstellung (Schein).


Die Rhetorik: Anspruch und Schein

Die Aussage von Finanzminister Klingbeil verspricht:

  • Wachstum: finanzielle Impulse, die gesamtwirtschaftlich wirksam sind;

  • Gerechtigkeit: vermutlich sozial gerechte Verteilung von Lasten und Nutzen;

  • Infrastruktur, Digitalisierung, Beschleunigung, Innovation als Mittel, dieses Wachstum und diese Gerechtigkeit zu ermöglichen.

Das sind starke, positive Begriffe – typisch für politische Rhetorik, die Zuversicht und Gestaltungskraft suggeriert.


Die Befunde des Ifo‑Instituts: Was zeigen sie?

Nach den veröffentlichten Analysen von ifo:

  1. Reduziertes Investitionsvolumen im Kernhaushalt
    Das aktuelle Investitionsvolumen (Ausweis „Investitionen“ gemäß §13 Abs. 3 Nr. 2 BHO) im Kernhaushalt wurde von früher geplanten ~ 53,4 Milliarden Euro auf ~ 37,5 Milliarden € gesenkt. 

  2. Projektstreichungen / Reduktionen
    – Das Darlehen für den Kapitalstock der Rentenversicherung wurde vollständig gestrichen (~ 12,36 Mrd €). 
    – Wegfall von Ausgaben für flächendeckenden Breitbandausbau (~ 2,93 Mrd €)
    – Infrastruktur‑Beiträge für Schienenwege (~ 2,36 Mrd €) wurden ebenfalls aus dem Kernhaushalt gestrichen. 

  3. Verlagerung ins Sondervermögen
    Viele Investitionen, die vorher im Kernhaushalt geplant waren, werden nun ins schuldenfinanzierte Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ ausgelagert. (ifo Institut)

  4. Verwendung der neuen Mittel
    Die zusätzlichen Mittel aus dem Sondervermögen sind offenbar nicht „zusätzlich“ → es handelt sich eher um Transfers bestehender oder geplanter Vorhaben. Ausgaben, die wegfallen im Kernhaushalt, tauchen zum Teil im Sondervermögen auf, statt dass das Gesamtvolumen der Investitionen steigt. (ifo Institut)

  5. Zunahme konsumtiver / sozialer Ausgaben
    Während Infrastruktur‑ und Digitalisierungsinvestitionen geschwächt werden, steigen Ausgaben im Sozialbereich. Neue Darlehen an Sozialversicherungsträger etc. werden als Maßnahmen benannt, die kurzfristig Entlastung bringen, langfristig aber Rückzahlungsbelastungen erzeugen. (ifo Institut)


Vergleich: Schein vs. Sein

Bereich Was der Schein verspricht (Klingbeils Aussage) Was das Sein laut ifo‑Analyse zeigt
Infrastruktur & Digitalisierung Klingbeil sagt, dass mit dem Haushalt in diese Bereiche investiert wird, um Wachstum & Innovation voranzutreiben. Tatsächlich werden viele Projekte aus dem Kernhaushalt gestrichen oder umgelagert. Das ausgewiesene Investitionsvolumen sinkt deutlich (von ~ 53,4 auf ~ 37,5 Mrd €). Viele Investitionen erscheinen nicht zusätzlich, sondern als Umbuchungen ins Sondervermögen.
Wachstum Versprochen durch Infrastruktur, Innovation, Beschleunigung. Wachstum hängt stark von der „Zusätzlichkeit“ der Investitionen ab; wenn Projekte nur verschoben werden, steigt das Wachstumspotenzial kaum. Zudem wird der Spielraum durch erhöhte Sozialausgaben und die Schuldaufnahme strapaziert.
Gerechtigkeit Klingbeil deutet an, dass der Haushalt auch soziale Gerechtigkeit fördert. Gerechtigkeit hängt davon ab, wer profitiert: Wenn Infrastrukturprojekte reduziert werden, leiden insbesondere Regionen mit unterversorgter Infrastruktur. Gleichzeitig steigen Sozialausgaben – das kann kurzfristig gerecht aussehen, erzeugt aber langfristig Belastungen z. B. durch Schulden, die kommende Generationen tragen müssen.
Vertrauen & Transparenz Die Rhetorik suggeriert: „Wir investieren, wir gestalten Zukunft.“ Das ifo‑Institut wirft der Regierung vor, durch Umschichtungen und Verschiebung von Aufgaben in Sondervermögen eine kreative Buchführung zu betreiben, die Teile der Realität unsichtbar macht. Der Haushalt könnte so als investitionsstark erscheinen, obwohl viele Mittel nur verschoben sind.

Bewertung: Inwieweit gelingt die Umsetzung?

  • Sein: Es gibt tatsächlich Mittel für Infrastruktur, Digitalisierung etc., insbesondere über das Sondervermögen. Es gibt Handlungsspielräume, und einige Projekte werden weitergeführt oder gestartet.

  • Schein:

    1. Der Eindruck, Klingbeil und die Regierung investierten zusätzlich stark in Infrastruktur & Innovation, trifft nicht ganz zu — viele Vorhaben waren schon geplant oder sind verschoben bzw. umgeleitet.

    2. Die Reduzierung der Investitionen im Kernhaushalt und die Streichung wichtiger Teilprojekte schwächen die Wirkung der angekündigten Maßnahmen.


Die Aussage von Lars Klingbeil enthält Elemente von Wahrheit: Der Haushalt 2025 sieht Investitionen vor, und es gibt Absichten, durch Infrastruktur und Digitalisierung Wachstum und Innovation zu fördern.

Doch das Ifo‑Institut legt nahe, dass viele der investiven Absichten eher im Schein realisiert werden:

  • Der Haushalt präsentiert sich als wachstumsfördernd und gerecht –

  • Das Sein zeigt vielfach: geringere Ausgaben in bestimmten Bereichen, Verschiebungen statt echter Neu‑Investitionen, mehr Sozial‑ und konsumtive Ausgaben, und höhere Schulden zur Finanzierung, was langfristige Kosten erzeugt.

Insofern: Die Floskel „Mit diesem Haushalt schaffen wir Wachstum und Gerechtigkeit …“ ist teilweise gerechtfertigt — aber sie überdeckt wichtige strukturelle Schwächen und Grenzen. Wachstum wird nicht so stark gefördert wie suggeriert (wegen der Umverlagerungen), und Gerechtigkeit könnte auf lange Sicht leiden, z. B. durch Generationenungerechtigkeit bei Schulden oder durch Ungleichheiten bei Infrastrukturausstattung.


 

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