Juli 18, 2025

Der gordische Knoten der Karlsruher Richterwahl – Wie Rücktritte Vertrauen und Rechtsstaat stärken könnten

Die aktuelle Auseinandersetzung um die Wahl der Verfassungsrichterin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf offenbart eine politische Spannungslage zwischen den Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD. Was formal eine Personalentscheidung zur Nachbesetzung eines Richteramts am Bundesverfassungsgericht ist, hat sich zu einer Belastung für die Ampel-Nachfolgekoalition entwickelt. Die Personalie ist zur Chiffre einer grundsätzlichen Debatte über politische Einflussnahme, persönliche Integrität, Loyalität und die Wahrung der Unabhängigkeit der höchsten deutschen Verfassungsinstanz geworden.

I. Der Knoten – politische und rechtliche Verstrickungen

Die Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts folgt einem formal demokratischen Verfahren gemäß Art. 94 Abs. 1 GG und § 5 BVerfGG. Danach erfordert die Wahl durch den Bundestag eine Zweidrittelmehrheit, was Kooperations- und Konsensfähigkeit der Fraktionen voraussetzt. Doch in der Praxis haben sich über Jahrzehnte parteipolitische Absprachen etabliert – ein sogenanntes „Kartell der Großen“, das die Unabhängigkeit der Justiz politisch verhandelt, ohne formal gegen geltendes Recht zu verstoßen.

In dieser Gemengelage ist die Nominierung von Prof. Brosius-Gersdorf durch die SPD erfolgt – eine Juristin mit wissenschaftlichem Profil, jedoch zugleich mit einer Vita, die in Teilen des politischen Spektrums als parteinah, wenn nicht parteiisch wahrgenommen wird. Der Widerstand in der Union, insbesondere aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wurde jedoch nicht offen verhandelt.

Jens Spahn, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gerät wegen früherer Affären und seines taktischen Umgangs mit der Causa Brosius-Gersdorf zunehmend unter Druck – sowohl intern als auch öffentlich. Ihm wird vorgeworfen, das Verfahren strategisch instrumentalisiert und sich damit als Koalitionspartner desavouiert zu haben, seine Verläßlichkeit und Vertrauenswürdigkeit wird hinterfragt.

II. Der gordische Knoten – und zwei denkbare Schnitte

In dieser Situation liegt ein Vorschlag nahe, der weniger juristisch als vielmehr politisch klug ist: Beide Hauptpersonen, Jens Spahn wie auch Frauke Brosius-Gersdorf, könnten durch einen Rücktritt bzw. Rückzug persönliche Verantwortung übernehmen – nicht als Schuldeingeständnis, sondern als Akt politischer Selbstbegrenzung und als Dienst an der Institution Bundesverfassungsgericht.

1. Rücktritt Jens Spahn – Verantwortung für die Integrität des Verfahrens

Ein Rücktritt Spahns von seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion könnte ein klares Signal sein: Ein führender Koalitionspolitiker übernimmt Verantwortung für den Vertrauensbruch, der durch Intransparenz und taktisches Verhalten entstanden ist. Er würde damit nicht nur seinen eigenen Ruf vor weiterem Schaden bewahren, sondern auch seiner Fraktion ermöglichen, unbelastet und mit neuer Ernsthaftigkeit in die Phase der Konsensfindung einzutreten.

Ein solcher Schritt würde zudem verdeutlichen, dass politische Ämter keine Immunität gegen die Verpflichtung zu rechtsstaatlicher Kultur und innerer Redlichkeit bedeuten. Spahns Rücktritt wäre kein Scheitern, sondern ein notwendiger Beitrag zur politischen Hygiene und zur Wiederherstellung einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre.

2. Rückzug Prof. Brosius-Gersdorf – Verzicht als staatsbürgerliche Geste

Gleichzeitig wäre ein freiwilliger Rückzug von Prof. Brosius-Gersdorf als Zeichen staatsbürgerlicher Größe und juristischer Verantwortung zu werten. Sie würde damit nicht ihre fachliche Qualifikation in Frage stellen – diese steht außer Zweifel –, sondern anerkennen, dass das Amt eines Verfassungsrichters nicht nur juristische Kompetenz, sondern auch ungeteiltes Vertrauen über parteipolitische Lager hinweg erfordert.

Ein solcher Schritt würde den Weg freimachen für eine neue Nominierung, die frei ist von vorbelasteten Debatten und parteipolitischen Reibungen. Er würde zudem das Amt selbst schützen – vor dem Verdacht, mit parteipolitischer Loyalität vermischt zu sein. Diese Entscheidung wäre kein Kniefall, sondern ein selbstbewusster Verzicht im Sinne der Institution Bundesverfassungsgericht.

III. Das Ziel: Vertrauensstiftung durch neue Wege

Beide Schritte – Rücktritt und Rückzug – wären in ihrer Kombination ein politischer Befreiungsschlag. Sie würden es der Koalition ermöglichen, einen unbelasteten Neuanfang bei der Richterwahl zu vollziehen. Eine offene, transparente und parteiübergreifend legitimierte Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten könnte zeigen, dass es der Politik mit der Unabhängigkeit der Justiz ernst ist – und dass das Bundesverfassungsgericht nicht zum Spielball taktischer Manöver verkommt.

Gleichzeitig könnten CDU/CSU und SPD demonstrieren, dass sie trotz bestehender Differenzen zum Wohle des Rechtsstaats und der demokratischen Ordnung in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und politische Blockaden aufzulösen.

IV. Verantwortung als politische Kategorie

In einer Zeit wachsender politischer Polarisierung ist die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, eine der entscheidenden Kategorien guter Regierungsführung. Jens Spahn und Frauke Brosius-Gersdorf könnten durch persönliche Entscheidungen zur Stabilisierung der politischen Kultur beitragen. Nicht durch Machterhalt oder Rückzug in die Wagenburg, sondern durch das bewusste Vorangehen mit gutem Beispiel.

Ein solches Verhalten würde nicht nur die Würde des Bundesverfassungsgerichts schützen, sondern wäre auch ein Dienst an der Demokratie – ein Zeichen dafür, dass in einer gefestigten Rechtsordnung persönliche Integrität, politische Klugheit und institutionelle Loyalität Hand in Hand gehen können.

„Verantwortung übernehmen heißt: freiwillig tun, was notwendig ist – auch wenn es persönlich schwerfällt.“
Diese Maxime sollte das Handeln in einer parlamentarischen Demokratie bestimmen – und könnte jetzt den gordischen Knoten lösen.

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