Eine juristisch-ökonomische Analyse zu Freiheit, Verantwortung und der Rolle des Staates in der sozialen Marktwirtschaft
Der neue Steuerreflex
Wenn politische Parteien – wie derzeit die Grünen in Schleswig-Holstein – eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke fordern, geschieht dies meist mit dem moralisch hohen Anspruch, „Gesundheit zu fördern“ oder „Kinder vor Übergewicht zu schützen“.
Doch jenseits der wohlklingenden Begründungen stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie weit darf der Staat in das selbstbestimmte Verhalten seiner Bürger eingreifen – und ab wann beginnt Entmündigung unter dem Deckmantel der Fürsorge?
Die Diskussion um eine Zuckersteuer berührt nicht nur gesundheitspolitische oder fiskalische Fragen. Sie berührt den Kern unseres Gesellschaftsmodells: die freiheitlich-demokratische Grundordnung, das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft und das Verhältnis zwischen individueller Freiheit und staatlicher Lenkung.
Der rechtlich-philosophische Ausgangspunkt: Selbstbestimmung als Leitprinzip
Das Grundgesetz beruht auf der Idee des mündigen Bürgers, der fähig ist, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.
Art. 2 Abs. 1 GG garantiert die allgemeine Handlungsfreiheit, die ausdrücklich auch das Recht umfasst, ungesunde oder unvernünftige Entscheidungen zu treffen.
Der freiheitliche Staat belohnt nicht nur Tugend, er toleriert auch Irrtum – solange andere nicht geschädigt werden.
Wenn der Staat beginnt, individuelles Konsumverhalten durch finanzielle Lenkung zu „korrigieren“, nähert er sich einer paternalistischen Logik: Der Bürger wird zum Objekt gesundheitspolitischer Steuerung.
Der freiheitliche Rechtsstaat wird damit zum fürsorglichen, aber bevormundenden „Erziehungsstaat“.
Ökonomische Dimension: Vom Markt zur Lenkungswirtschaft
Die soziale Marktwirtschaft beruht auf dem Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage und Eigenverantwortung, nicht auf allgemeine Verhaltenslenkung durch Preisaufschläge.
Eine Zuckersteuer ist ökonomisch gesehen keine „neutrale Verbrauchssteuer“, sondern eine gezielte Marktintervention, die Konsumentscheidungen künstlich verteuert.
Die Begründung, damit die „Volksgesundheit“ zu verbessern, erinnert strukturell an planwirtschaftliche Lenkungsmechanismen:
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Der Staat definiert, was „gesund“ ist.
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Er verändert den Preis bestimmter Produkte, um Verhalten zu steuern.
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Er nimmt in Kauf, dass der Markt nicht mehr frei, sondern moralisch konditioniert agiert.
Das widerspricht dem Geist der sozialen Marktwirtschaft, die Freiheit durch Verantwortung verlangt, nicht durch Regulierung ersetzt.
Der politische Doppelsinn: Moral und Fiskus
Offiziell soll die Zuckersteuer dem Gesundheitsschutz dienen. Realpolitisch aber dient sie auch als neue Einnahmequelle, die sich politisch leicht legitimieren lässt.
Denn wer könnte gegen „Gesundheit“ argumentieren?
Tatsächlich ist die fiskalische Komponente erheblich:
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In Großbritannien brachte die Soft-Drink-Industry-Levy 2022/23 über 400 Mio. £ ein.
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In Deutschland könnte eine vergleichbare Abgabe schnell über eine Milliarde Euro jährlich einbringen.
So entsteht ein Doppelcharakter:
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Nach außen: Schutz der Gesundheit.
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Nach innen: Stabilisierung staatlicher Einnahmen.
Das ist gefährlich, weil eine Steuer, die einmal eingeführt ist, selten wieder abgeschafft wird – selbst wenn der Lenkungseffekt längst verpufft ist.
So wird aus Gesundheitspolitik schleichend Steuerpolitik im moralischen Gewand.
Gesellschaftliche Wirkung: Von der Verantwortung zur Vormundschaft
Ein Staat, der Zucker besteuert, weil er Bürgern nicht zutraut, über ihren Konsum selbst zu entscheiden, drückt Misstrauen gegenüber der Mündigkeit seiner Bevölkerung aus.
Er ersetzt Bildung durch Preislenkung, Aufklärung durch Strafsteuer.
Doch Information ist längst allgegenwärtig:
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Jeder Supermarkt kennzeichnet Zuckergehalte.
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Schulen vermitteln Ernährungswissen.
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Medien warnen vor Übergewicht.
Das Problem liegt also nicht im Informationsdefizit, sondern im individuellen Lebensstil – und der ist Privatsache.
Ein freier Mensch darf sich auch für das weniger Vernünftige entscheiden, ohne dass der Staat ihn dafür sanktioniert.
Wer das ändert, verwandelt Freiheit in „zugelassene“ Freiheit – eine gefährliche rhetorische Verschiebung.
Rechtliche Betrachtung: Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit
Juristisch betrachtet wäre eine Zuckersteuer ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit der Hersteller).
Der Eingriff wäre zwar verhältnismäßig, wenn er einem legitimen Zweck dient (Gesundheitsschutz), geeignet und erforderlich ist.
Aber: Er ist fragwürdig in der Angemessenheit, da mildere Mittel – Aufklärung, Kennzeichnung, Prävention – längst existieren.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt, dass staatliche Eingriffe nicht bloß symbolpolitisch, sondern nachweislich wirksam sind.
Eine Steuer, deren Hauptzweck fiskalisch bleibt, aber moralisch getarnt wird, wäre damit verfassungsrechtlich problematisch.
Sozialethische Bewertung: Tugend durch Zwang ist keine Tugend
Gesundheitsförderung durch Zwang ist ethisch ambivalent.
Sie verwandelt Verantwortung in Gehorsam – und erzieht Bürger zu Objekten politischer Moral.
In der politischen Philosophie nennt man dies „wohlwollenden Autoritarismus“: gut gemeint, aber freiheitsgefährdend.
Die soziale Marktwirtschaft lebt von der Einsicht, dass Freiheit auch Irrtum einschließt.
Wer versucht, alle Risiken des Lebens zu regulieren, zerstört die Lernfähigkeit der Gesellschaft.
Ein gesundes Gemeinwesen braucht keine Zuckersteuer, sondern Vertrauen in die Vernunft seiner Bürger.
Der schmale Grat zwischen Fürsorge und Freiheitsverlust
Die Forderung nach einer Zuckersteuer in Schleswig-Holstein steht exemplarisch für ein neues Verhältnis von Staat und Bürger:
Ein Staat, der über Preise erzieht, überschreitet eine Grenze, die in einer freiheitlichen Demokratie nicht selbstverständlich ist.
Er verlässt das Prinzip der Selbstverantwortung und ersetzt es durch ein System moralisch begründeter Verhaltenslenkung.
Gesundheit ist zweifellos ein hohes Gut – aber kein staatliches Ziel, das mit Zwang erreicht werden darf.
Eine Demokratie lebt davon, dass ihre Bürger mündig genug sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, selbst wenn sie manchmal zu süß ausfallen.