Beispiel 5: Kieler Nachrichten am 12.2.2025 – Eine Frage der Gerechtigkeit?
Irreführung durch Tatsachen- und Meinungsvermischung kann absichtlich erfolgen (Desinformation) oder unbeabsichtigt durch Nachlässigkeit, kognitive Verzerrung oder Missverständnisse entstehen. Es führt oft zu Fehlinformationen, die die Wahrnehmung oder Entscheidung einer Zielgruppe manipulieren oder verfälschen können.
In keinem Fall korrespondiert es mit der öffentlichen Aufgabe von Medien.
Die öffentliche Aufgabe von Journalisten besteht darin, die Gesellschaft durch präzise und fundierte Berichterstattung zu informieren. Art. 5 GG verleiht ihnen die Freiheit, dies ohne äußeren Druck zu tun, und verpflichtet sie zugleich zur verantwortungsvollen Ausübung ihres Berufs. Faktenprüfung ist dabei kein separater Prozess, sondern Kernbestandteil journalistischer Arbeit. Nur durch eine konsequente Wahrung dieser Standards können Journalisten ihrer demokratischen Verantwortung gerecht werden und einen unverzichtbaren Beitrag zur Meinungsbildung und Stabilität unserer Gesellschaft leisten.
Unter der Überschrift
„Eine Frage der Gerechtigkeit?
Im Wahlkompass spricht sich eine Mehrheit für eine Vermögenssteuer aus – so stehen die Parteien dazu“,
beklagt die KN in ihrem Artikel:
Marode Straßen und Schienen, bröckelnde Brücken, baufällige Schulen – die Infrastruktur in Deutschland ist in einem beklagenswerten Zustand. Nach seriösen Schätzungen sind in den kommenden zehn Jahren mindestens 600 Milliarden Euro nötig, um den enormen Investitionsstau aufzulösen und die Dekarbonisierung voranzutreiben. Doch wie kann diese enorme Summe angesichts der Haushaltsnöte aufgebracht werden?
Weiter heißt es in dem Artikel, der die scheinbare Botschaft: Vermögenssteuer= die Lösung aller Investitionsprobeme des Staates – durch die Kombination von Überschrift und der Einleitung mit Aussagen über den Investitionsstau „empfinden“ lassen will in Kombination mit der Aussetzung der Schuldenbremse:
Im RND-Wahlkompass, einer empirischen Umfrage unter mehr als 80.000 Leserinnen und Lesern, gibt es bei dieser Frage eine klare Tendenz: Immerhin 65 Prozent der Teilnehmer plädieren dafür, eine Vermögenssteuer einzuführen. Die Zustimmungswerte für eine Aussetzung der Schuldenbremse liegen dagegen mit 46 Prozent deutlich dahinter.
In der Mitte des Printausgabe der KN steht dann das Zitat von Marcel Fratzscher:

Das Zitat von Marcel Fratzscher – „Es gibt weltweit kaum ein Land, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland.“ – hinterlässt einen verkürzten und tendenziösen Eindruck, der folgende problematische Annahmen suggeriert:
Implizite Botschaft: Vermögende zahlen kaum Steuern
Das Zitat könnte bei einem unkritischen Leser den Eindruck erwecken, dass in Deutschland vor allem Arbeitnehmer hohe Steuern zahlen, während Vermögende weitgehend steuerfrei bleiben. Dies ist jedoch eine verkürzte und irreführende Darstellung, denn:
- Vermögende zahlen durchaus Steuern, allerdings über andere Kanäle (Kapitalertragsteuer, Unternehmenssteuern, Grundsteuer, Erbschaftsteuer).
- Spitzenverdiener tragen die Hauptlast der Einkommensteuer, da die oberen 10 % der Einkommensbezieher mehr als 50 % der gesamten Einkommensteuer zahlen.
- Die Steuerlast ist nicht nur eine Frage der Vermögenshöhe, sondern auch der Art der Einkünfte. Einkommen aus Arbeit wird in der Regel progressiv besteuert, während Kapitaleinkünfte pauschal besteuert werden.
Verkürzte Sicht auf die Steuerstruktur
Das Zitat stellt einen Vergleich an, ohne den steuerlichen Gesamtkontext zu berücksichtigen:
- Viele Länder haben niedrigere Steuern auf Arbeit, aber höhere indirekte Steuern (z. B. Mehrwertsteuer, Vermögensteuern, Erbschaftsteuern).
- Einige Staaten mit höherer Vermögensbesteuerung haben gleichzeitig geringere Sozialabgaben oder eine andere Struktur der Besteuerung von Kapital.
- Deutschland ist nicht das einzige Land mit hoher Lohnbesteuerung. Länder wie Belgien oder Frankreich haben ebenfalls hohe Belastungen für Arbeitnehmer.
Politische Interpretation: Unterschwellige Forderung nach Steuererhöhungen auf Vermögen
Fratzscher ist bekannt für seine wirtschaftspolitischen Positionen, die tendenziell eine stärkere Besteuerung von Vermögen und Kapital befürworten. Das Zitat kann als rhetorische Vorbereitung für eine politische Forderung nach:
- Vermögensteuern
- Höheren Erbschaftsteuern
- Höheren Kapitalertragsteuern
Die Aussage stützt sich auf eine normative Annahme: Dass die derzeitige Steuerlast ungerecht verteilt sei und eine Umverteilung notwendig wäre. Dies wird jedoch nicht empirisch belegt, sondern bleibt eine politische Interpretation.
Ausblendung der Staatsausgaben und Umverteilungseffekte
Das Zitat erweckt den Eindruck, dass der Staat Einnahmen aus Arbeit primär zur Eigenfinanzierung nutzt, ohne die massive Umverteilung in Deutschland zu berücksichtigen:
- Sozialtransfers: Deutschland hat eines der umfassendsten Sozialversicherungssysteme weltweit.
- Progressive Steuerstruktur: Höhere Einkommen tragen überproportional zur Finanzierung des Staates bei.
- Leistungen des Staates: Ein Großteil der Steuereinnahmen kommt Arbeitnehmern in Form von Renten, Gesundheitsversorgung und anderen Sozialleistungen zugute.
Daher ist die Aussage verkürzt, weil sie die Verwendung der Steuereinnahmen ignoriert.
Mögliche Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung
Das Zitat kann insbesondere in öffentlichen Debatten folgende Effekte haben:
- Populistische Interpretation: „Die Reichen zahlen nichts, die Armen zahlen alles!“ – ein Narrativ, das politisch mobilisierend wirkt, aber ökonomisch nicht in dieser Absolutheit haltbar ist.
- Legitimation von Steuererhöhungen: Die Aussage kann genutzt werden, um politische Maßnahmen zur höheren Vermögensbesteuerung zu rechtfertigen.
- Verzerrung der ökonomischen Realität: Sie könnte die komplexe Steuerstruktur Deutschlands vereinfachen und die Rolle von Kapitalsteuern und Unternehmensbesteuerung ausblenden.