Oktober 29, 2024

Unvereinbarkeitsbeschlüsse – vereinbar mit Artikel 21 GG?

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 21 

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
 
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
 
(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
 
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Bisher hat das Bundesverfassungsgericht für die Parteien Die Linke und die AfD kein Urteil zur Verfassungswidrigkeit oder einem Ausschluss von der staatlichen Finanzierung gemäß Artikel 21 GG erlassen.

Die CDU hat in verschiedenen Phasen ihrer Geschichte Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen bestimmte Parteien und Organisationen gefasst, um sich von extremistischen oder konkurrierenden Strömungen klar abzugrenzen.

  1. AfD: Die CDU beschloss 2018 und 2019 offiziell, jede Zusammenarbeit oder Koalition mit der AfD auszuschließen. Die AfD wird dabei als „politischer Gegner“ gesehen, mit dem es aus Sicht der CDU aufgrund rechtsextremer und verfassungsfeindlicher Tendenzen keine gemeinsame Basis gibt. Diese Haltung wurde im Jahr 2020 nochmals bestärkt, insbesondere nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes, die der AfD verfassungsfeindliche Tendenzen bescheinigten.

  2. Die Linke: Auch mit der Linken hat die CDU offiziell Unvereinbarkeitsbeschlüsse, da diese in Teilen als linksextremistisch eingestuft wird. Dieser Ausschluss gilt insbesondere in westlichen Bundesländern, wo keine Annäherung an die Linke angestrebt wird. In ostdeutschen Ländern gab es jedoch vereinzelt Überlegungen, wie in speziellen Situationen eine Zusammenarbeit bewertet werden könnte.

  3. Werteunion: 2024 kündigte CDU-Chef Friedrich Merz einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Werteunion an. Diese konservative Gruppierung innerhalb der CDU wurde von Teilen der Partei als nicht mehr mit den CDU-Grundsätzen vereinbar betrachtet. Merz begründete die Abgrenzung mit starken Meinungsverschiedenheiten zu den Zielen und der Ausrichtung der Werteunion.

Unvereinbarkeitsbeschlüsse wie die der CDU richten sich jedoch primär an Mitglieder und Funktionsträger der eigenen Partei, nicht an die rechtliche Zulässigkeit anderer Parteien. Solche Beschlüsse regeln interne Parteidisziplin und sagen aus, mit welchen Parteien oder Organisationen eine Zusammenarbeit ausgeschlossen wird. Damit werden keine verfassungsrechtlichen Feststellungen getroffen, sondern es handelt sich um eine politische, parteiinterne Entscheidung. Sie betreffen etwa Koalitionen oder die Vermeidung von Kooperationen mit Parteien oder Gruppierungen, die nach Ansicht der CDU wesentliche parteiliche Grundsätze und Werte verletzen​.

Solche internen Beschlüsse sind somit erlaubt, da sie keine gesetzlichen Verbote darstellen und sich nicht auf die verfassungsrechtliche Existenz einer anderen Partei beziehen.

Unvereinbarkeitsbeschlüsse von Parteien sind somit mit Art. 21 GG vereinbar.

Aber sind sie in einer Demokratie, die eigentlich vom argumentativen und inhaltlichen Wettstreit um die besten politischen Ideen leben sollte, zielführend?

Nein, denn die Unvereinbarkeit verhindert auch eine Zusammenarbeit in der Sache, wenn sie zum Wohle aller geboten ist. Verhindert wird die politische, transparente und inhaltliche Diskussion, auf deren Grundlage der Wahlbürger seine freie Auswahlentscheidung treffen kann. Verhindert wird der Wettstreit um die besten Lösungen für Probleme in Staat und Gesellschaft, weil Unvereinbarkeit pauschal besteht und nicht den Einzelfall betrachtet.

 

CDU und BSW – vereinbar?

Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluß mit der Partei Die Linken. In der BSW gibt es folgende Personenüberschneidungen mit der Partei Die Linken:

  1. Sahra Wagenknecht – ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag und Mitgründerin des BSW.
  2. Amira Mohamed Ali – ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, jetzt Co-Vorsitzende im BSW​.
  3. Christian Leye – ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken aus Nordrhein-Westfalen​.
  4. Żaklin Nastić – frühere Linken-Abgeordnete im Bundestag, nun Mitglied des BSW​.
  5. Sevim Dağdelen – langjährige Bundestagsabgeordnete der Linken, wechselte ebenfalls zum BSW​.
  6. Fabio De Masi – ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken und bekannt für seine Arbeit in Finanz- und Wirtschaftsthemen​.
  7. Stefan Wogawa – ehemaliges Stadtratsmitglied der Linken in Thüringen, trat ebenfalls dem BSW bei​Diese Personen gehören zu den prominenteren Wechseln von der Linken zum BSW. Es gibt darüber hinaus zahlreiche weitere ehemalige Linke-Mitglieder, die sich auf Basis- und Landesebene für das Bündnis engagieren.

Ehemaligen Linke-Mitglieder, die in den Landesverbänden des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aktiv sind:

  1. Rheinland-Pfalz: Alexander Ulrich, früherer Landesvorsitzender der Linken und Bundestagsabgeordneter, wurde zum Vorsitzenden des BSW-Landesverbands Rheinland-Pfalz gewählt. Seine Stellvertreterin ist Sina Listmann, die als Quereinsteigerin in die Politik kam​.

    Berlin: Im Berliner Landesverband leitet ein Führungsduo den Verband, darunter ein ehemaliges Linke-Mitglied. Dieser Verband konzentriert sich auf die links-konservativen Kernpunkte des BSW​.

    Niedersachsen und Bremen: Auch in diesen neu gegründeten Landesverbänden sind einige frühere Mitglieder der Linken aktiv, welche die regionalen Strukturen weiter aufbauen​.

    Sachsen und Thüringen: Diese beiden ostdeutschen Landesverbände erzielten bei den Landtagswahlen im September 2024 hohe Stimmenanteile und wurden maßgeblich durch frühere Linke-Mitglieder unterstützt. Besonders in diesen Regionen sind viele ehemalige Linke im BSW vertreten, die Wagenknechts Fokus auf soziale und friedenspolitische Themen schätzen​.

    Diese Landesverbände wurden nach und nach aufgebaut, mit einer Mischung aus ehemaligen Linke-Mitgliedern und neuen Unterstützern, die sich von den politischen Positionen des BSW angesprochen fühlen.

Wenn sich das BSW im wesentlichen aus Mitgliedern der Linken zusammensetzt, warum gilt dann der Unvereinbarkeitsbeschluß der CDU für die Partei Die Linke nicht für das BSW?

Mit Hinweis auf die Notwendigkeit der landespolitischen Zusammenarbeit zum Wohle aller Menschen im betreffenden Bundesland wird diese Fragestellung seitens der CDU ignoriert und vom Tisch gewischt.

Nicht überzeugend!

Unvereinbarkeitsbeschlüsse oder „Brandmauern“ sind kein Element einer lebendigen Demokratie. Sie sind immer ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Wegducken der einen, und ein Mittel der strategischen Planung der anderen. Wer Brandmauern als Argument akzeptiert, läßt sich in seinem politischen Handlungsspielraum von Dritten einengen. Wer Unereinbarkeitsbeschlüsse faßt, verweigert sich der politischen Auseinandersetzung um die besten Lösungsansätze und Ideen, und schließt Zusammenarbeit ohne Prüfung in der Sache einfach aus.

Pauschal Unvereinbarkeitsbeschlüsse sollte es in einer Parteiendemokratie nicht geben, sie sind grundsätzlich statisch und fördern sachfremde Bündnisse, weil alles andere unvereinbar sei.

Die CDU hat sich zu ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen durch eine moralisierende Diskussion zwingen lassen – dies ist Schwäche nach innen wie nach außen.

Jetzt will sie konkret mit dem BSW über Koalitionen verhandeln, also Personen unter anderem Parteienetikett als Die Linke. Richtigerweise wird hier nicht die Unvereinbarkeit zum Thema gemacht, obwohl sie in Bezug auf die Personen bestehen würde.

Aber:

Eine Koalition zwischen der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird in der Praxis Herausforderungen mit sich bringen, da die Parteien bei Themen wie Verteidigung, Nachrüstung und der Ukraine-Politik stark unterschiedliche Positionen vertreten. Die CDU hat sich grundsätzlich für eine unterstützende Haltung gegenüber der Ukraine ausgesprochen und unterstützt NATO-Verpflichtungen, einschließlich der Aufrüstung, um die nationale und europäische Sicherheit zu stärken. Diese Haltung entspricht den Kernpositionen der CDU und ist mit ihrer sicherheitspolitischen Ausrichtung stark verankert.

Das BSW hingegen verfolgt eine betont friedensorientierte und NATO-kritische Position. Sahra Wagenknecht und ihre Partei lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine weitgehend ab und haben mehrfach eine deeskalierende Haltung gefordert, die sich stärker auf diplomatische als auf militärische Mittel fokussiert. Die BSW sieht die Aufrüstung kritisch und setzt sich für einen neutraleren Standpunkt in der Ukraine-Frage ein​.

Eine Zusammenarbeit wäre daher nur möglich, wenn die CDU hier einen Spagat vollziehen, um ihre traditionellen Sicherheitsprinzipien und NATO-Bindungen zu wahren. Aber geht das überhaupt? Es bleibt fraglich, ob eine solche Allianz die CDU-Wählerschaft nicht extrem irritieren würde, da insbesondere Stammwähler diese Verschiebungen in sicherheitspolitischen Fragen als Verrat am eigenen Markenkern und jahrzehntelanger erfolgreicher Sicherheitspolitik wahrnehmen müssen.

Distanzierungsforderung von Sahra Wagenknecht an die CDU-Landesverbände gegenüber dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz haben zusätzlich autokratische Züge und weisen auf ein nicht kompatibles Staatsverständnis hin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner