März 21, 2025

Zeitenwende – Sein oder Schein

Die Zeitenwende ist teils Sein, teils Schein. Sie ist real in ihrer strategischen Notwendigkeit und in einigen sichtbaren Reaktionen, aber sie ist auch überzeichnet in der Rhetorik und unvollständig in der Umsetzung.

Real ist:

  • Die Verlagerung globaler Machtachsen,
  • Der Wegfall friedenspolitischer Illusionen,
  • Die Erkenntnis, dass harte Macht wieder zum politischen Werkzeug gehört.

Illusorisch bleibt:

  • Dass Europaals Ganzes schnell, einheitlich und entschlossen handelt,
  • Dass aus der „Zeitenwende“ automatisch eine neue strategische Kultur entsteht,
  • Dass politischer Wille und strategische Tiefe bereits den neuen Realitäten entsprechen.
Der strategische Anspruch, der hinter dem Begriff Zeitwende steht, muß in institutionelle Realität übersetzt werden. Dabei können die Gedanken von Levitsky und Ziblatt helfen, auch wenn sie sich auf die erste Ära Trump in den USA beziehen.

Inhaltszusammenfassung: „Wie Demokratien sterben“ von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt

Das 2018 veröffentlichte Buch „Wie Demokratien sterben“ (Original: How Democracies Die) der Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt analysiert, wie Demokratien im 21. Jahrhundert erodieren und welche Muster sich dabei beobachten lassen. Die Autoren legen dar, dass der Zerfall von Demokratien heute seltener durch plötzliche Militärputsche erfolgt, sondern schleichend durch gewählte Politiker, die demokratische Institutionen untergraben.

Das Buch ist auf die gegenwärtige politische Situation in Europa anwendbar – in hohem Maße.
Zahlreiche Länder durchlaufen heute exakt jene Prozesse, die Levitsky und Ziblatt als frühe Phasen der Demokratieerosion beschreiben. Ungarn und Polen zeigen, wie weit diese Erosion fortschreiten kann, wenn es keine wirksamen institutionellen oder gesellschaftlichen Gegenkräfte gibt.

Das Buch dient somit als ein Frühwarnsystem für Europa. Es zeigt, dass Demokratien nicht durch Umstürze, sondern durch schleichende Prozesse sterben – sofern nicht aktiv gegengesteuert wird.


Zentrale These: Demokratien sterben schleichend

Levitsky und Ziblatt argumentieren, dass Demokratien nicht mehr primär durch revolutionäre Umstürze oder Putsche, sondern durch die systematische Aushöhlung demokratischer Normen und Institutionen untergraben werden. Besonders gefährlich sei dies, wenn populistische oder autoritäre Politiker demokratische Mechanismen nutzen, um ihre Macht zu festigen.

  • Die Autoren zeigen auf, dass Demokratien durch gewählte Führer zerstört werden, die schrittweise Wahlen manipulieren, Justiz und Medien schwächen und politische Gegner delegitimieren.
  • Dieses Muster war historisch in Venezuela, der Türkei, Ungarn, Polen, Russland und zunehmend in den USA zu beobachten.

Vier Indikatoren für autoritäre Tendenzen

Levitsky und Ziblatt identifizieren vier zentrale Warnzeichen, an denen man autoritäre Politiker erkennen kann:

  1. Ablehnung oder schwache Unterstützung demokratischer Regeln
    • Politiker stellen Wahlergebnisse infrage oder verneinen die Legitimität des politischen Systems.
  2. Delegitimierung politischer Gegner
    • Gegner werden nicht als legitime Opposition, sondern als Feinde oder Verräter dargestellt.
  3. Toleranz oder Unterstützung von Gewalt
    • Politiker dulden oder befürworten politische Gewalt oder schützen gewalttätige Anhänger.
  4. Einschränkung von Grundrechten und Medien
    • Kritische Medien werden angegriffen, die Justiz wird unter politischen Einfluss gestellt, Bürgerrechte eingeschränkt.

Die Autoren zeigen, dass viele historische Diktatoren (z. B. Mussolini, Hitler, Chávez) diesen Mustern folgten – und dass ähnliche Entwicklungen heute wieder zu beobachten sind.


Demokratische Institutionen allein reichen nicht aus

Ein Kernargument des Buches ist, dass Demokratien nicht allein durch Verfassungen und Gesetze geschützt werden, sondern auf ungeschriebenen Normen basieren. Zwei Normen sind besonders wichtig:

  1. Wechselseitige Toleranz
    • Politische Gegner werden als legitime Wettbewerber anerkannt und nicht als Feinde betrachtet.
  2. Institutionelle Zurückhaltung (Forbearance)
    • Politiker nutzen ihre Macht nicht bis zum Äußersten aus, selbst wenn es legal wäre.

Die Autoren argumentieren, dass die USA über Jahrzehnte von diesen Normen profitiert haben, sie aber in den letzten Jahren – insbesondere durch die Polarisierung der Parteien – brüchig geworden sind.


4. Der schleichende Zerfall der Demokratie in den USA

Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit der Entwicklung der Demokratie in den USA, insbesondere mit der Präsidentschaft von Donald Trump. Die Autoren sehen in ihm einen Politiker, der autoritäre Muster zeigt:

  • Infragestellung von Wahlergebnissen (z. B. seine Behauptung, die Wahl 2020 sei „gestohlen“ worden).
  • Angriffe auf die Medien als „Feinde des Volkes“.
  • Bedrohung demokratischer Normen, indem er Checks & Balances umging und die Justiz beeinflussen wollte.

Doch die Autoren betonen, dass beide Parteien zur Erosion der Demokratie beigetragen haben. Besonders seit den 1990er Jahren habe die Polarisierung zugenommen, was den demokratischen Grundkonsens beschädigt habe.


Lehren aus vergangenen Demokratien

Das Buch analysiert, wie Demokratien in der Vergangenheit gestürzt wurden – und was erfolgreiche Demokratien dagegen getan haben. Wichtige historische Beispiele:

  • Spanien (1930er Jahre): Der Zerfall demokratischer Normen führte zum Bürgerkrieg.
  • Deutschland (1930er Jahre): Hitler wurde demokratisch gewählt, aber dann entmachtete er systematisch seine Gegner.
  • Chile (1970er Jahre): Der Wahlsieg von Salvador Allende führte zu einem extrem polarisierten Klima, das letztlich zum Militärputsch führte.
  • Italien und Frankreich (20. Jahrhundert): Demokratische Systeme überlebten, weil starke Parteien und Institutionen den Extremismus eindämmten.

Diese Beispiele zeigen, dass Demokratien nicht automatisch überleben, sondern aktiv verteidigt werden müssen.


Wie kann man Demokratien schützen?

Levitsky und Ziblatt schlagen konkrete Maßnahmen vor, um Demokratien widerstandsfähiger zu machen:

  1. Parteien müssen verantwortungsvoll handeln
    • Populisten dürfen nicht durch etablierte Parteien legitimiert werden.
    • Beispiel: In Deutschland wurde die AfD lange von etablierten Parteien isoliert, während in den USA die Republikaner Trump unterstützten.
  2. Stärkung demokratischer Normen
    • Politiker müssen wieder zu „Fair Play“ zurückkehren und ihre Macht nicht rücksichtslos ausnutzen.
  3. Wahlen und Institutionen schützen
    • Unabhängige Justiz und freie Medien sind essenziell.
    • Wahlgesetze sollten so gestaltet sein, dass Manipulation verhindert wird.
  4. Zivilgesellschaftliche Mobilisierung
    • Demokratische Werte müssen von Bürgern verteidigt werden.
    • Proteste, Pressefreiheit und zivilgesellschaftliches Engagement sind entscheidend.

„Wie Demokratien sterben“ ist eine eindringliche Warnung vor der Aushöhlung demokratischer Systeme durch gewählte Autokraten. Die Autoren zeigen, dass Demokratien nicht durch einen einzigen Umsturz sterben, sondern durch eine schleichende Erosion demokratischer Normen.

Das Buch fordert Politiker, Parteien und Bürger auf, sich aktiv für Demokratie einzusetzen – denn sie ist kein Selbstläufer, sondern ein System, das ständiger Pflege und Schutz bedarf.

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