Der Unterschied zwischen Sein und Schein in der Politik beschreibt eine zentrale Problematik: die Differenz zwischen der tatsächlichen Realität (Sein) und dem äußeren Anschein oder der öffentlichen Darstellung (Schein).
Warum Daniel Günthers Plädoyer für Gespräche mit der Linkspartei unvereinbar mit den Werten der CDU ist – Eine Analyse
Am 24. März 2025 sorgte eine Aussage des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) für erhebliches politisches Beben: In einem Interview mit dem Tagesspiegel plädierte er dafür, mit der Linkspartei Gespräche zu führen, um eine grundlegende Reform der Schuldenbremse zu ermöglichen. Was zunächst wie pragmatische Staatsräson erscheint, offenbart bei genauerer Betrachtung eine gefährliche Grenzverschiebung, die in direktem Widerspruch zu den Unvereinbarkeitsbeschlüssen der CDU steht – und damit auch zu den Grundwerten und der Identität der Partei.
Dazu FAZ vom 3.4.2025: Wenn Abgeordnete Linksextremen helfen
Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linken sind Mitglieder der Roten Hilfe – einem Rechtshilfeverein, den der Verfassungsschutz als linksextrem einstuft. Warum sind die Linken-Politiker dabei?
Der Schein: Pragmatismus und staatspolitische Verantwortung
Auf den ersten Blick wirkt Günthers Position verantwortungsbewusst: Er verweist auf die veränderten parlamentarischen Mehrheiten und darauf, dass eine Reform der Schuldenbremse – laut Sondierungspapier der Union und SPD – nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich ist. Diese Mehrheit ist mit den derzeitigen Partnern nicht erreichbar. Der „Schein“ dieser Aussage: Günther inszeniert sich als pragmatischer Realpolitiker, der über ideologische Gräben hinweg zu handeln bereit ist – im Sinne des Gemeinwohls. In Zeiten wachsender Politikverdrossenheit mag dies nach Konsens und Problemlösung klingen. Doch dieser Eindruck täuscht.
Das Sein: Ein klarer Bruch mit Parteigrundsätzen und politischer Integrität
Was Günther vordergründig als pragmatische Notwendigkeit verkauft, ist bei näherem Hinsehen ein direkter Verstoß gegen die politischen Grundprinzipien der CDU. Der sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss, den die Partei gegenüber der Linkspartei und der AfD gleichermaßen gefasst hat, ist nicht bloß eine taktische Richtlinie, sondern Ausdruck einer klaren inhaltlichen und weltanschaulichen Abgrenzung. Die CDU hat sich – historisch gewachsen und programmatisch begründet – bewusst gegen jegliche Zusammenarbeit mit politischen Rändern positioniert.
Die Linkspartei wird von Teilen des Verfassungsschutzes beobachtet. Sie lehnt in vielen Punkten das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ab und steht in Traditionslinien, die mit dem demokratischen Selbstverständnis der Union unvereinbar sind – sei es durch ihre Vergangenheit in der DDR-Staatspartei SED oder durch gegenwärtige Forderungen, die klar linkspopulistisch geprägt sind.
Wenn ein führender CDU-Politiker wie Daniel Günther nun diese klare Grenzziehung infrage stellt, wird das „Sein“ der Partei – ihr Wertekern, ihre politische Identität – massiv beschädigt. Was bleibt, ist ein Schein von Standhaftigkeit, der sich bei näherer Betrachtung als bloße politische Fassade entpuppt.
Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der CDU
Die CDU steht derzeit vor enormen Herausforderungen: Erosion ihrer Stammwählerschaft, wachsende Konkurrenz von rechts und links, und ein schwieriger Spagat zwischen Modernisierung und Traditionspflege. In dieser Lage ist Glaubwürdigkeit das höchste Gut – und sie speist sich nicht aus kurzfristigem Machbarkeitsdenken, sondern aus Verlässlichkeit in Grundfragen.
Wenn nun ausgerechnet ein Ministerpräsident der CDU dazu aufruft, mit der Linken Gespräche zu führen, untergräbt das die Integrität und Berechenbarkeit der Union. Es ist nicht nur ein kommunikativer Bruch, sondern auch ein programmatischer: Man kann sich nicht öffentlich zur politischen Mitte bekennen – und gleichzeitig bereit sein, mit extremen politischen Kräften zu koalieren oder sie als Mehrheitsbeschaffer zu nutzen.
Die historische Dimension: Warum das Misstrauen gegen den Schein in der deutschen politischen Kultur tief verankert ist
In der politischen Kultur Deutschlands ist die Differenz zwischen Sein und Schein traditionell ein zentrales Kriterium politischer Glaubwürdigkeit. Seit dem 19. Jahrhundert – von Hegels idealistischer Philosophie über Thomas Manns Kritik an der „ästhetizistischen Politik“ bis hin zu Walter Benjamins Warnung vor der Ästhetisierung der Politik – herrscht eine tiefe Skepsis gegenüber politischer Inszenierung und strategischer Symbolpolitik. Günthers Vorschlag wirkt vor diesem Hintergrund wie ein kalkulierter Versuch, durch scheinbaren Pragmatismus Zustimmung zu erzeugen, während im Kern eine gefährliche Aufweichung parteipolitischer Prinzipien betrieben wird.
Der Preis des Scheins ist der Verlust des Seins
Daniel Günthers Vorstoß mag als gut gemeinte Initiative für ein konkretes politisches Ziel erscheinen. Doch der Preis dieses Scheins ist hoch: Er unterminiert die ideelle Substanz der CDU, widerspricht dem Unvereinbarkeitsbeschluss und könnte eine gefährliche Präzedenz schaffen. Wer heute aus pragmatischen Gründen mit den politischen Rändern verhandeln will, kann morgen nicht mehr glaubwürdig für die politische Mitte stehen.
Der Fall Günther zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, den Unterschied zwischen Sein und Schein in der Politik kritisch zu analysieren – und wie schnell der Weg von einer scheinbar rationalen Entscheidung in eine strategische Beliebigkeit führen kann. Die CDU muss sich entscheiden: Will sie stehen, wofür sie seit Jahrzehnten steht – oder will sie nur scheinen, modern und flexibel zu sein?
Kurz-Analyse:
Warum das Grundsatzprogramm der Partei Die Linke in zentralen Punkten unvereinbar mit der CDU ist
Die CDU versteht sich traditionell als Partei der politischen Mitte, die auf dem Fundament der sozialen Marktwirtschaft, Subsidiarität, freiheitlich-demokratischen Grundordnung, europäischer Integration, Verantwortungsethik und transatlantischer Partnerschaft ruht. In diesem Licht betrachtet, offenbart das aktuelle Grundsatzprogramm der Partei Die Linke (2024) eine Vielzahl von inhaltlichen, weltanschaulichen und strukturellen Unvereinbarkeiten, die einen Bruch mit dem CDU-Verständnis von Politik darstellen. Im Folgenden eine differenzierte Darstellung dieser Konfliktlinien:
1. Systemkritik und Ziel: Überwindung des Kapitalismus
Die Linke bekennt sich explizit zum demokratischen Sozialismus als Gegenmodell zur sozialen Marktwirtschaft. Das Parteiprogramm strebt eine grundlegende Überwindung des kapitalistischen Systems an – ein Paradigmenwechsel, der mit der marktwirtschaftlichen Ordnung, die im Zentrum des CDU-Programms steht, nicht vereinbar ist.
„Wir kämpfen für einen Systemwechsel, weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist.“ (Präambel, S. 9)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU sieht den Kapitalismus – genauer: die soziale Marktwirtschaft – als Grundlage von Freiheit, Wohlstand und Eigenverantwortung. Für sie ist die Systemstabilität zentral. Die Linke stellt dieses System dagegen grundsätzlich infrage.
2. Eigentumsfrage und Wirtschaftsverfassung
Die Linke fordert eine demokratische Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftsbereiche – darunter Finanzsektor, Energie, Daseinsvorsorge, Infrastruktur – basierend auf öffentlichem Eigentum statt Privatwirtschaft.
„Wir wollen eine demokratische Vergesellschaftung weiterer strukturbestimmender Bereiche auf der Grundlage von staatlichem, kommunalem, genossenschaftlichem oder Belegschaftseigentum.“ (S. 10)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU verteidigt Privatwirtschaft und Eigentumsrechte als Kernprinzipien. Die Forderung nach kollektiver Vergesellschaftung widerspricht diametral dem CDU-Leitbild einer wettbewerbsorientierten und innovationsgetriebenen Marktwirtschaft.
3. Renten- und Sozialpolitik: Systemwechsel statt Reform
Die Linke fordert eine radikale Abkehr vom bisherigen Renten- und Sozialsystem. Statt kapitalgedeckter Vorsorge und Eigenverantwortung propagiert sie staatliche Vollversorgung und sanktionsfreie Grundsicherung.
„Hartz IV muss weg. Jeder und jede hat das Recht auf Arbeit und das Recht, konkrete Arbeitsangebote abzulehnen, ohne Sperrzeiten oder andere Sanktionen.“ (S. 11)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU setzt auf Fördern und Fordern – eine Balance aus sozialer Absicherung und Leistungspflicht. Die völlige Ablehnung von Sanktionen untergräbt das Prinzip der Eigenverantwortung, das zentraler Bestandteil christdemokratischer Sozialethik ist.
4. Außen- und Sicherheitspolitik: Ablehnung militärischer Verantwortung
Die Linke fordert die Abschaffung der Bundeswehr-Auslandseinsätze, ein Verbot von Rüstungsexporten und stellt die Mitgliedschaft in militärischen Bündnissen (z.B. NATO) infrage. Sie setzt auf Abrüstung und strukturelle Nichtangriffsfähigkeit.
„Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden, ihr Einsatz im Inneren ist strikt zu untersagen.“ (S. 12)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU steht für eine verantwortungsvolle internationale Sicherheitspolitik in Bündnissen wie der NATO. Für sie ist die Bundeswehr Ausdruck der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands. Die Linke hingegen verweigert systematisch jede militärische Verantwortung.
5. Staat und Demokratieverständnis
Die Linke plädiert für eine umfassende Demokratisierung aller Lebensbereiche, inklusive Wirtschaft, Justiz und Medien, bis hin zur Einführung politischer Streiks und Generalstreiks als legitimes Mittel. Auch eine Enteignung großer Vermögen wird nicht ausgeschlossen.
„Die Wirtschaft ist einer strikten Wettbewerbskontrolle zu unterwerfen […] Der Kapitalismus zerstört Demokratie durch Wirtschaftsmacht.“ (S. 12)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU vertraut auf das Prinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit getrennten Gewalten, rechtstaatlichen Verfahren und sozialer Marktwirtschaft. Die Forderung nach vollständiger „Demokratisierung“ aller Institutionen zielt auf eine Auflösung dieser liberalen Ordnung zugunsten eines kollektivistischen Modells.
6. Ideologische Selbstverortung und Traditionslinien
Die Linke bezieht sich positiv auf die sozialistische Arbeiterbewegung, Karl Marx, Rosa Luxemburg, aber auch die DDR, die sie als „Sozialismusversuch“ darstellt. Trotz formalen Bruchs mit dem Stalinismus wird das DDR-Erbe nicht fundamental delegitimiert, sondern selektiv gewürdigt.
„Auch in der DDR gab es […] großartige Filme, Romane, bildende Künste […] eine reiche kulturelle und geistige Landschaft.“ (S. 18)
CDU-Konfliktlinie: Die CDU verurteilt die DDR als Unrechtsstaat. Eine positive Bezugnahme auf diese Traditionen ist mit ihrer historisch-demokratischen Identität unvereinbar.
Fundamentale Unvereinbarkeit – nicht nur pragmatisch, sondern weltanschaulich
Die programmatischen Ziele der Partei Die Linke stellen in vielen Bereichen nicht nur Alternativen, sondern Systemgegensätze zur CDU dar. Eine Zusammenarbeit – wie sie Daniel Günther vorgeschlagen hat – unterläuft die ideologische Kohärenz der CDU, relativiert die Unvereinbarkeitsbeschlüsse und birgt die Gefahr, dass die Partei zwischen Schein des Pragmatismus und dem Verlust ihres Seins zerrieben wird.
Ein Dialog mit der Linkspartei mag kurzfristig als pragmatische Lösung erscheinen – langfristig jedoch bedeutet er die Verwässerung des politischen Profils der Union. In einer Zeit wachsender Polarisierung braucht die CDU klare Linien, keine verschleiernden Brücken zu radikalen Systemkritikern.
Gleiches ist gleich zu behandeln – was für die AfD gilt, gilt auch für die Partei Die Linke.