Ein Parteipolitiker handelt vorrangig im Rahmen seiner Parteiinteressen, denkt in Legislaturperioden und zielt auf kurzfristige politische Erfolge, Mehrheiten und den Machterhalt. Entscheidungen werden oft entlang der Parteilinie und mit Blick auf Wählerstimmungen getroffen.
Ein Staatsmann hingegen denkt langfristig, generationenübergreifend und orientiert sich am Gemeinwohl. Ihn kennzeichnet strategische Weitsicht, Prinzipientreue und der Wille, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn sie dem Land nützen. Der Staatsmann agiert unabhängig von Parteitaktiken, mit Blick auf Verfassung, Gesellschaftsvertrag und historische Verantwortung.
CDU-Grundsatzprogramme 1978 vs. 2024:
Eine kurze Gegenüberstellung im Lichte von Freiheit, Sozialer Marktwirtschaft, gesellschaftlichem Frieden und Grundrechten
Die Grundsatzprogramme der CDU von 1978 und 2024 markieren nicht nur zeitgeschichtliche Wegmarken, sondern auch unterschiedliche Prioritäten in der politischen Selbstverortung der Partei. Sie spiegeln den Wandel von einem ordnungspolitisch orientierten Programm zu einem sicherheits- und transformationspolitisch gerahmten Bekenntnis zur Mitte wider.
1. Freiheit 1978 stand Freiheit in engem Zusammenhang mit Subsidiarität, Selbstverantwortung und der Begrenzung staatlicher Macht. Der Staat war Ermöglicher, nicht Lenker. 2024 dagegen wird Freiheit zunehmend über Sicherheit legitimiert. „Freiheit braucht Sicherheit“ lautet das neue Paradigma, das über weite Strecken zu einer Ausweitung staatlicher Kontroll- und Eingriffsrechte führt, etwa im digitalen Raum.
2. Soziale Marktwirtschaft Das Programm von 1978 zeigt sich klar ordnungspolitisch verortet: Wettbewerb, Eigentum, Subsidiarität und Leistung als Voraussetzung für Teilhabe. Der Staat hat eine rahmensetzende Funktion. 2024 bleibt dem Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft treu, rückt jedoch stärker staatlich gelenkte Transformationsprozesse (Digitalisierung, Klimawandel, Fachkräftezuwanderung) ins Zentrum. Die Rolle des Staates verschiebt sich von Rahmengeber zum Mitgestalter.
3. Gesellschaftlicher Frieden 1978: Frieden durch soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Diskurs und das Überwinden von Klassen- und Interessengegensätzen. 2024 wird gesellschaftlicher Zusammenhalt vor allem als kulturelle Herausforderung verstanden. Leitkultur, Integrationspflichten, Ehrenamt und ein Gesellschaftsjahr sind die zentralen Mittel.
4. Grundrechte Das ältere Programm sieht die Grundrechte als Schutzmechanismen gegen Übergriffe – auch des Staates. Das Programm 2024 betont dagegen deren Schutzfunktion gegen neue Bedrohungen, insbesondere im digitalen Raum. Der Grundsatz „Datenschutz darf kein Täterschutz sein“ steht exemplarisch für eine sicherheitsbasierte Umgewichtung.
Welche Programmatik stärkt Ludwig Erhards und Alfred Müller-Armacks Vision der Sozialen Marktwirtschaft?
Beide Begründer der Sozialen Marktwirtschaft verknüpften marktwirtschaftliche Freiheit mit sozialer Gerechtigkeit unter minimalstaatlichen Bedingungen. Ihr Leitbild war nicht ein steuernder Staat, sondern ein ordnender, dem Wettbewerb verpflichteter Staat, der Chancengerechtigkeit durch Freiheit ermöglicht.
Das Programm von 1978 ist diesem Ideal näher: Es vertraut auf das Eigeninteresse im Rahmen rechtlicher Ordnung, betont Subsidiarität, Verantwortung und Eigentum als Freiheitsgarant. Es will Marktkräfte zügeln, nicht ersetzen. Es ist staatsmännisch im Sinne der Bewahrung der wirtschaftlichen Freiheitsordnung.
Das Programm 2024 erkennt die Herausforderungen der Gegenwart realistisch, doch in seiner programmatischen Umsetzung droht eine Verschiebung zugunsten staatlicher Steuerung. Es zielt weniger auf ordnungspolitische Balance als auf politisch gestützte Transformation. Das birgt die Gefahr, Freiheitsrechte zugunsten von Steuerung, Sicherheit und Systemintegration zu relativieren.
Staatsmännische Besonnenheit oder parteipolitische Anpassung?
Das CDU-Programm 1978 ist staatsmännisch, weil es dauerhafte Prinzipien über Tagesinteressen stellt. Es stärkt Markt, Gesellschaft und Individuum gleichermaßen und bleibt skeptisch gegenüber Übergriffigkeit.
Das Programm 2024 ist pragmatisch und modern, aber gefangen in der Logik von Sicherheitsnarrativen, Krisenreaktionen und Transformationsimperativen. Der Staatsmann würde fragen: Welche Ordnung sichert auch in Zukunft Freiheit, Wohlstand und Teilhabe? Die Antwort darauf bleibt das Ideal der Sozialen Marktwirtschaft in ihrer klassischen Form.
Der Parteipolitiker hingegen fragt: Was mobilisiert heute Zustimmung und reagiert auf die Stimmungslagen? Im Spannungsfeld zwischen beidem entscheidet sich, ob Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich in der Balance bleibt.