Juni 18, 2025

Verantwortung übernehmen – Was bedeutet dies für Ministerpräsident Günther?

Northvolt und der geheime Rechnungshofbericht:

Im Sog des brisanten Rechnungshofberichts zur Northvolt-Förderung durch das Bundeswirtschaftsministerium hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) öffentlich erklärt, er wolle „Verantwortung übernehmen“. Die 600-Millionen-Euro-Unterstützung für das schwedische Batterieunternehmen Northvolt – flankiert durch Landesmittel und mitgetragen von der Landesregierung – steht nachträglich unter massivem Rechtfertigungsdruck. Der Bundesrechnungshof wirft Wirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Beamten im Bundesministerium ein „Prinzip Hoffnung“ statt faktenbasierter Entscheidung vor, verbunden mit formellen Mängeln, unvollständiger Dokumentation und systematischer Risikoverharmlosung.

Doch was bedeutet „Verantwortung übernehmen“ in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Kontext tatsächlich?


Politische Verantwortung ist kein PR-Wort

Wenn Günther diese Formulierung ernst meint, genügt es nicht, Interviews zu geben oder in der Landespresse den Schulterschluss mit Habeck zu erklären. Verantwortung in einer parlamentarischen Demokratie verlangt konkretes politisches Handeln, ggf. auch personelle Konsequenzen und eine schonungslose Offenlegung aller Entscheidungswege im eigenen Kabinett. Das umfasst insbesondere:

  • Offenlegung der internen Kommunikation zwischen Landesregierung, IB.SH (Investitionsbank SH) und dem Bundeswirtschaftsministerium.

  • Transparente Darstellung, wann die Landesregierung von den Bedenken der IB.SH wusste und wie sie diese bewertet hat.

  • Aufklärung, warum Landesmittel zugesagt wurden, obwohl aus bankfachlicher Sicht Zweifel an der Tragfähigkeit des Northvolt-Modells bestanden.


Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Für Günther steht weit mehr auf dem Spiel als ein einzelnes Projekt: Es geht um seine Glaubwürdigkeit als Vertreter eines modernen, wirtschaftsfreundlichen, aber ordnungspolitisch verantwortungsvollen Konservatismus. Sollte sich der Eindruck verfestigen, dass auch Schleswig-Holstein blind einem grünen industriepolitischen Wunschdenken gefolgt ist, droht ihm nicht nur innerparteiliche Kritik, sondern ein Verlust an politischer Führungskraft auf Bundesebene – etwa im Ministerpräsidentenkonferenzformat.

„Verantwortung übernehmen“ kann kein symbolischer Satz bleiben. Wer das sagt, muss bereit sein, Fehlentscheidungen öffentlich zu benennen, Transparenz zu schaffen, und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen – auch gegen eigene Vertraute. Ministerpräsident Günther steht an einem Scheideweg: Entweder er geht als Krisenmanager in die Geschichte ein – oder als Mitläufer eines industriepolitischen Fehlschlags historischen Ausmaßes.


Sollte Günther zurücktreten?

Ob ein Rücktritt zur „Übernahme politischer Verantwortung“ gehört, hängt im politischen System Deutschlands stark vom Ausmaß des Fehlverhaltens, der persönlichen Involvierung und dem öffentlichen Druck ab. Rein rechtlich ist niemand zum Rücktritt verpflichtet, aber politisch-moralisch wird dieser Schritt oft dann erwartet, wenn:

  • gravierende Fehler im eigenen Verantwortungsbereich begangen wurden,

  • die Kontrolle über das Verwaltungshandeln verloren ging,

  • der öffentliche Eindruck von Verantwortungslosigkeit oder Vertuschung überwiegt.

Ministerpräsident Günther hat – Stand Juni 2025 – nicht persönlich den Northvolt-Fördervertrag unterzeichnet, trägt jedoch Mitverantwortung für die politische Rahmensetzung, Zustimmung im Kabinett und Begleitung des Förderprozesses in Schleswig-Holstein.

Ein Rücktritt wäre dann folgerichtig, wenn sich nachweisen lässt:

  • dass sein Kabinett gegen den fachlichen Rat der eigenen Investitionsbank handelte,

  • dass er selbst im Wissen um erhebliche Bedenken politische Zustimmung gegeben hat,

  • oder wenn er zentrale parlamentarische Gremien nicht ordnungsgemäß eingebunden hat.

Ein Rücktritt wäre ein starkes Zeichen, dass politische Verantwortung mehr ist als symbolische Kommunikation. Gleichzeitig würde er sein eigenes Ansehen langfristig sogar stärken, sollte er ihn offensiv und sachlich begründen.


II. Rücktritte aus politischer Verantwortung in Deutschland (Auswahl)

Hier eine Liste prominenter Fälle, in denen deutsche Politiker – teilweise ohne persönliche Rechtsverstöße – aus politischer Verantwortung zurücktraten:

Jahr Name Amt Anlass
2021 Franziska Giffey (SPD) Bundesfamilienministerin Plagiatsaffäre im Zusammenhang mit ihrer Dissertation.
2021 Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) CDU-Vorsitzende Führungsschwäche, nicht durchsetzbar gegen Landesverbände.
2012 Christian Wulff (CDU) Bundespräsident Rücktritt nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Vorteilsannahme – unabhängig vom späteren Freispruch.
2011 Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Bundesverteidigungsminister Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit.
2009 Franz Josef Jung (CDU) Bundesarbeitsminister Rücktritt wegen unzutreffender Angaben zur Kundus-Affäre (Bombardierung durch Bundeswehr).
2000 Rudolf Scharping (SPD) Bundesverteidigungsminister Rücktritt wegen Unregelmäßigkeiten bei Dienstflügen und PR-Aufträgen.
1999 Oskar Lafontaine (SPD) Bundesfinanzminister & SPD-Vorsitzender Rücktritt wegen unüberbrückbarer Differenzen mit Schröders Wirtschaftskurs.
1985 Uwe Barschel (CDU) Ministerpräsident SH Rücktritt nach Enthüllungen in der „Barschel-Affäre“ (Verleumdung und Bespitzelung politischer Gegner).
1972 Karl Schiller (SPD) Bundeswirtschaftsminister Rücktritt wegen Differenzen mit Finanzminister Schmidt über Konjunkturpolitik.
1969 Franz Josef Strauß (CSU) Bundesverteidigungsminister Rücktritt nach „Spiegel-Affäre“ – rechtswidrige Maßnahmen gegen Redakteure.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner