I. Einleitung
Die Alternative für Deutschland (AfD) wird seit 2024 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft¹. Zugleich erzielt sie Umfragewerte von über 20 % und verfügt über eine wachsende Anhängerschaft im öffentlichen Dienst. Forderungen nach einem Parteiverbot und die Überprüfung von Beamten auf AfD-Mitgliedschaft befeuern eine verfassungsrechtlich wie politisch hochgradig sensible Debatte: Steht der Staat vor einem Versagen in der Gefahrenabwehr – oder erleben wir vielmehr ein strukturelles Versagen der demokratischen Parteien, gemessen an Art. 21 GG?
II. Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien nach Art. 21 GG
Art. 21 Abs. 1 GG lautet:
„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen.“
Diese Vorschrift begründet nicht nur eine institutionelle Stellung der Parteien, sondern eine demokratiekonstitutive Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mehrfach betont:
„Die Parteien tragen eine Mitverantwortung für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ (BVerfGE 107, 339 [356])
Parteien sind damit keine bloßen Akteure auf dem politischen Markt. Sie tragen in ihrer Funktion als Vermittlungsinstanz zwischen Volk und Staat eine aktive Schutzpflicht zugunsten der verfassungsmäßigen Ordnung.
Die Pflicht zur inhaltlichen Auseinandersetzung
- Politische Konfrontation statt juristische Delegation
Die Tendenz, sich in der Auseinandersetzung mit der AfD primär auf juristische Mittel (z. B. Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder Verbotsverfahren) zu verlassen, greift zu kurz. Art. 21 GG verpflichtet demokratische Parteien vielmehr dazu, programmatische und argumentative Angebote zu machen, die extremistischen Positionen entgegenstehen – nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Überzeugung.
Wie das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsverfahren 2017 betonte:
„Die wehrhafte Demokratie ist auf politische Auseinandersetzung und Widerlegung angewiesen. Der offene Diskurs ist zentrales Element ihrer Verteidigungskraft.“ (BVerfGE 144, 20 [Rn. 586])
Parteien müssen dort präsent sein, wo die AfD Resonanz findet – in sozialen, ökonomischen und kulturellen Krisenräumen. Die demokratische Auseinandersetzung verlangt inhaltliche Antworten auf Fragen der Migration, Identität, Souveränität, sozialer Spaltung und des Vertrauensverlusts in Institutionen.
- Der Fehler der Moralisierung
Die pauschale Moralisierung von AfD-Wählerinnen und -Wählern als „Nazis“, „Feinde“ oder „Demokratieverächter“ mag politisch intendiert sein, ist aber verfassungsrechtlich kontraproduktiv. Denn Art. 21 GG impliziert auch, dass die politische Willensbildung des Volkes ernst zu nehmen ist. Wer Millionen Wähler pauschal delegitimiert, beschädigt nicht die AfD – sondern das Vertrauen in die Legitimität der Demokratie insgesamt.
Parteien müssen Differenzierungen ermöglichen, Dialog eröffnen und Polarisierung nicht durch Pauschalurteile verschärfen. Auch kritische Bürger verdienen politische Angebote – nicht nur moralisierende Abwehr.
Demokratische Abgrenzung durch eigene Stärke
Die demokratische Selbstbehauptung lebt nicht vom Ausschluss, sondern von Profil, Präsenz und Programmatik:
- Profil bedeutet, dass Parteien ein eigenständiges, unterscheidbares Wertefundament vertreten – nicht bloß als Antithese zur AfD, sondern als eigene Idee vom Gemeinwesen.
- Präsenz bedeutet, dass demokratische Parteien sichtbar und ansprechbar bleiben – auch dort, wo die AfD stark ist.
- Programmatik bedeutet, dass sie gesellschaftliche Konflikte aufnehmen, verarbeiten und kanalisieren – nicht verdrängen oder ignorieren.
Nur wenn demokratische Parteien diesen Auftrag erfüllen, können sie ihrem Auftrag aus Art. 21 GG gerecht werden – nicht als Gegner in einem Machtspiel, sondern als Garantinnen des demokratischen Verfassungsstaats.
Demokratie lebt von Auseinandersetzung
Art. 21 GG ist kein abstraktes Verfassungsbekenntnis, sondern eine Handlungsaufforderung. Parteien haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich mit politischen Gegnern wie der AfD inhaltlich auseinanderzusetzen. Der Rückzug ins Juristische, die Verlagerung in den Sicherheitsapparat oder die pauschale Denunziation von Wählern untergräbt die Demokratie mehr, als sie sie schützt.
Die freiheitliche Ordnung verteidigt sich nicht durch Verbote – sondern durch Überlegenheit im politischen Argument. Wer sich dieser Aufgabe entzieht, überlässt das Feld jenen, die die fdGO aktiv angreifen.
III. AfD und Art. 21 Abs. 2 GG – Ist ein Parteiverbot rechtlich möglich?
Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch durch das BfV³ eröffnet zwar die Möglichkeit eines Verbotsverfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG. Jedoch sind die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht hierfür entwickelt hat, außerordentlich hoch:
Ein Parteiverbot setzt voraus, dass eine Partei aktiv-kämpferisch und planvoll gegen die fdGO vorgeht und eine konkrete Gefährdung des demokratischen Systems besteht⁴. Im Fall der NPD (2017) wurde ein Verbot trotz offenkundiger Verfassungsfeindlichkeit mangels „konkreter Erfolgsaussichten“ abgelehnt⁵. Die Anwendung auf die AfD ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen, zumal sie in mehreren Landesparlamenten und im Bundestag mit erheblichem Wählerzuspruch vertreten ist.
IV. Politische Verantwortung vs. staatliches Handeln
1. Der Staat: aktiv im Rahmen des Rechts
Das BfV hat auf gesetzlicher Grundlage (insb. §§ 3, 5 BVerfSchG) tätig gehandelt. Beamtenrechtlich stehen Instrumente zur Verfügung, um verfassungswidriges Verhalten zu sanktionieren (§ 33 Abs. 1 BeamtStG). Ein pauschaler Generalverdacht gegen Beamte mit AfD-Nähe verbietet sich jedoch aus Gründen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und der Diskriminierungsverbote (Art. 3 Abs. 3 GG).
2. Die Parteien: strategische Leerstelle
Ein wesentlicher Teil des Problems liegt in der politischen Verarbeitung rechtspopulistischer Tendenzen. Die etablierten Parteien reagieren vielfach mit normativer Abgrenzung statt programmatischer Klarheit. Die Selbstvergewisserung demokratischer Parteien über ihre eigene Funktion – etwa im ländlichen Raum, bei sozialer Abstiegsangst oder globaler Skepsis – bleibt vielfach aus. Art. 21 GG ist keine Einbahnstraße. Auch die Verteidigung der fdGO ist Teil der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Mitwirkung an der Willensbildung.
V. Beamte und AfD – Zwischen Treuepflicht und Gesinnungsschnüffelei
Eine besondere Kontroverse löste CDU-Abgeordneter Roderich Kiesewetter aus, der in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 17. Januar 2024 wörtlich forderte:
„Wir brauchen eine Überprüfung von Menschen im öffentlichen Dienst, ob sie der AfD nahestehen oder Mitglied sind. Das kann nicht hingenommen werden. Die AfD ist nicht mit der Verfassung vereinbar.“
Diese Forderung wirft erhebliche verfassungsrechtliche Fragen auf.
1. Beamtenstatus und Verfassungstreue
Beamte stehen gemäß Art. 33 Abs. 5 GG in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat. Eine verfassungswidrige Betätigung – etwa durch Aufruf zur Abschaffung zentraler Prinzipien der Menschenwürde, Gleichheit oder Gewaltenteilung – kann dienstrechtliche Konsequenzen rechtfertigen⁶.
2. Grenzen staatlicher Überprüfung – Gefahr der Gesinnungsschnüffelei
Die Forderung, Beamte auf AfD-Mitgliedschaft oder Nähe zur Partei zu überprüfen, kommt einer staatlichen Gesinnungsprüfung nahe. Sie erinnert an die Praxis der sog. Radikalenerlasse der 1970er Jahre, die das Bundesverfassungsgericht mit deutlichen Einschränkungen versieht⁷. Auch heute gilt: Die bloße Zugehörigkeit zu einer nicht verbotenen Partei kann kein Disziplinargrund sein – es sei denn, es treten tatsächliche, beweisbare verfassungswidrige Handlungen hinzu.
Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) schützt ausdrücklich auch unliebsame, provokante oder systemkritische Äußerungen. Wenn der Staat beginnt, Gesinnungen zu sanktionieren, ohne dass sich diese in Verhalten niederschlagen, ist die Grenze zur Übergriffigkeit überschritten. Verfassungsrechtlich ist festzuhalten: Der Staat darf Beamte auf ihre Verfassungstreue im Verhalten prüfen – nicht auf ihre Gedanken oder politischen Sympathien.
VI. Fazit
Ein Parteiverbot der AfD wäre verfassungsrechtlich denkbar, aber gegenwärtig nur schwer durchsetzbar. Der Staat handelt bislang weitgehend im Rahmen rechtsstaatlicher Grenzen. Das größere Problem liegt in einem Versagen politischer Akteure, die sich zu sehr auf juristische Mittel verlassen, statt demokratische Überzeugungsarbeit zu leisten.
Am 6. Mai 2025 äußerte sich der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zur Diskussion über mögliche dienstrechtliche Konsequenzen für Beamte mit AfD-Parteibuch.
Dobrindt betonte, dass die Treuepflicht von Beamten zur Verfassung individuell geprüft werden müsse und nicht allein durch die Parteizugehörigkeit bestimmt werden könne. Er wies darauf hin, dass ein Parteiverbot der AfD derzeit nicht zur Debatte stehe und stattdessen politische Auseinandersetzung erforderlich sei.
Diese Haltung steht im Kontrast zu Forderungen von Politikern wie Roderich Kiesewetter (CDU), der eine Überprüfung von Beamten im öffentlichen Dienst hinsichtlich ihrer AfD-Mitgliedschaft gefordert hatte.
Dobrindts differenzierter Ansatz betont die Notwendigkeit, individuelle Verhaltensweisen zu bewerten, anstatt pauschale Maßnahmen zu ergreifen. Dies soll sicherstellen, dass die Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit und die politische Betätigungsfreiheit, gewahrt bleiben, während gleichzeitig die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst gewährleistet wird.
Die Debatte über den Umgang mit AfD-Mitgliedern im öffentlichen Dienst bleibt weiterhin ein zentrales Thema in der deutschen Innenpolitik. Dobrindts Aussagen deuten darauf hin, dass die neue Bundesregierung einen ausgewogenen Ansatz verfolgen möchte, der sowohl die Sicherheit des Staates als auch die individuellen Rechte der Beamten berücksichtigt.
Literaturhinweise:
¹ Vgl. BfV, Pressemitteilung vom 6. März 2024, www.verfassungsschutz.de
² BVerfGE 20, 56 (101); 107, 339 (356)
³ Verwaltungsgericht Köln, Beschl. v. 8.3.2022 – 13 L 201/21
⁴ BVerfGE 107, 339 (356); 144, 20 (NPD-Verfahren)
⁵ BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 615 ff.
⁶ Vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.2023 – 2 C 6.21
⁷ BVerfG, Beschl. v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73 („Radikalenbeschluss“)